Nachts, wenn Dracula erwacht – Filmkritik
Original-/Alternativtitel: Count Dracula
Jahr: 1970
Regisseur: Jesús Franco
Schauspieler: Christopher Lee (Graf Dracula), Herbert Lom (Van Helsing), Klaus Kinski (Renfield), Fred Williams (Jonathan Harker), Paul Müller (Dr. John Seward), Jack Taylor (Quincey)
Vorwort:
Diese Review ist, glaube ich, etwas ganz Besonderes, denn sie bedient doch gleich mehrere Themen, die filmthematisch äußerst ergiebig sind. Das erste ist natürlich „Dracula“, denn Nachts, wenn Dracula erwacht ist überhaupt die erste Verfilmung des klassischen Bram Stokers-Stoff, die ich hier bespreche. Die Hammer-Filme zähle ich natürlich nicht dazu, da sie bis auf die Namen und die Themen kaum etwas mit der Vorlage zutun haben. Die mir bekannten, werksgetreuen Adaptionen sind ja ohnehin nur: Dracula mit Lugosi sowie Bram Stoker’s Dracula von Francis Ford Coppola, wobei jede von diesen ja auch einige Änderungen vornahm. Wenn man wollte, könnte man auch noch Nosferatu dazuzählen, aber diese „Adaption“ war ja, wie allgemein bekannt, nicht rechtlich gedeckt.
Die dritte „offizielle“ Adaption nun aber ist das heutige Betrachtungsobjekt, Nachts, wenn Dracula erwacht. Und hier kommt die Schnittstelle zum zweiten besonderen Thema dieser Review: Jesús Franco Manera. Ein geradezu sagenumwobener Name, der die Cineasten erbleichen, und die Fans des Absurden, des Schmuddeligen jubeln lässt (nicht ohne Grund inspirierte er solche Regisseure wie Andreas Bethmann). Bisher kam diese Legende, die im Verhältnis mit der Masse an Filmen, die sie produzierte, eigentlich ziemlich unbekannt ist, viel zu kurz. Aus dem Output des Herrn Franco führte ich mir bisher nur Jungfrau unter Kannibalen (1980, durchaus amüsant), erst neulich seinen Slasher-Beitrag Die Säge des Todes (1981, ganz ok) sowie Das Blutgericht der gequälten Frauen (1972, eher schwach) zu Gemüte. Eigentlich ist das aber auch ein passender repräsentativer Querschnitt für das Schaffen des spanischen Auteurs: Allerlei Schund und Schmuddel, vornehmlich im Horror und Exploitation-Bereich. Meistens im absoluten B-Bereich, manchmal bekam der gute Herr aber sogar moderate Budgets und gute Schauspieler! Und das führt mich wieder zu Nachts, wenn Dracula erwacht: Eine werkgetreue Dracula-Verfilmung mit niemand geringerem als Christopher Lee und Klaus Kinski, gedreht von Jess Franco! Das muss doch was werden. Vielleicht nichts Gutes, aber irgendwas...
Inhalt:
Der junge Jonathan Harker begibt sich nach Transsylvanien, um dort den Verkauf einer Immobilie an Graf Dracula zu bereden. Die Warnungen der Einheimischen sind berechtigt, denn der seltsame Graf sperrt Harker alsbald in sein Zimmer ein. Dieser flieht durch das Fenster und kehrt nach England zurück, wo er, seine Verlobte Mina, sowie Van Helsing, Dr. Seward und Quincy schließlich in der Nervenheilanstalt zusammenfinden – und es alsbald wieder mit dem Grafen aufnehmen müssen.
Vorwort:
Nun, in der Tat ist Nachts, wenn Dracula erwacht etwas geworden. Etwas... Interessantes. Zumindest für mich als Dracula-Fan und Kenner der Vorlage, die ich erst Anfang dieses Jahres genießen durfte – wobei „genießen“ vielleicht sogar das falsche Wort ist. Zweifelsohne ist Bram Stokers „Dracula“ neben „Frankenstein“ der Klassiker der altehrwürdigen Horror-Literatur, ohne die die Horrorgeschichte gänzlich anders ausgesehen hätte. Stoker entfachte mit seinem, damals ebenso zweifelsohne wegweisenden Roman, eine Kettenreaktion des Horrors: Erst Nosferatu, dann Universals Klassiker mit Lugosi, und erst so kam überhaupt Frankenstein in die Kinos, und so wurde wiederum Horror im Mainstream richtig tauglich. Man sieht: Stokers Roman ist mit Sicherheit eines der wichtigsten Bücher der Populärkultur. Heißt aber gleichzeitig nicht, dass man den Roman auch heute noch abfeiern muss, auch, wenn man Horrorfan ist.
Im Gegensatz zu Mary Shelleys „Frankenstein“, der durch die philosophischen Gedanken noch genauso, wenn nicht sogar aktueller denn je ist, ist Stokers „Dracula“ für mich eine doch ziemlich zähe Angelegenheit gewesen (obwohl ich die hübsche Schmuckausgabe im Regal stehen habe). Der Anfang mit Harker auf Draculas Burg ist herrlich, auch das Ende am selben Schauplatz ist wunderschön geschrieben. Nur im Mittelteil wird’s dann wirklich öde teilweise: Dieser ist dann mit redundanten und fromm-pathetischen Dialogen gefüllt und kommt teils kaum vom Fleck außerdem ist das Ganze sehr melodramatisch. Tausendmal kündigt Van Helsing an, man müsse ihm jetzt vertrauen, ohne dass er Tacheles redet. Tausendmal beteuern die Männer, wie toll Mina doch ist und dass sie sie beschützen werden. Tausendmal heult Harker rum, wie schlimm alles ist usw. Im Gegensatz zu Mary Shelleys Klassiker, hat „Dracula“ aus heutiger Sicht doch überraschend wenig Biss (pun intended), obgleich ersterer durch die inzwischen 200 Jahre Alter auch nicht einfach wegzulesen ist.
Aber gut, dies ist ja eine Filmseite, und keine für Literatur. Wir wollen uns Nachts, wenn Dracula erwacht widmen. Und das Erste, was man vorneweg sagen kann und muss, ist: Es ist eine ziemlich werkgetreue Adaption. Das kann man nun gut oder schlecht finden, denn wirkliche Überraschungen sind so, selbst wenn man das Buch nicht kennt, selbstredend nicht zu erwarten (zumindest im positiven Sinne). Neben Coppolas Version ist es bisher die originalgetreuste, die mir bekannt ist, aber auch der Jesús nahm, oder eher, musste sich ein paar Freiheiten nehmen, die wohl durch das geringe Budget bedingt waren.
Für die Umsetzung von Buch zu Skript waren in diesem Falle drei Leute zuständig. Neben dem Franco selbst noch Dietmar Behnke, der nichts Weiteres in seiner Vita stehen hat, sowie Augusto Finocchi, der sonst vorwiegend billige Italowestern schrieb. Nicht unbedingt also die besten Bedingungen für eine zünftige Vampir-Verfilmung, aber Stokers Werk gibt die (in meinen Augen wie gesagt sehr zähe) Dramaturgie vor und diese wird im Film auch nicht verändert. Es läuft alles so wie im Roman ab, wenngleich hier und da beschleunigt: Harker kommt in Graf Draculas Burg an und flieht schließlich, dann befinden wir uns in Sewards Nervenheilanstalt. Hier gibt es auch die erste fundamentale Änderung, die sich aber eigentlich nicht auf den weiteren Hergang auswirkt: Im Buch leitet Dr. Seward die Anstalt selbst, hier ist er nun ein Untergebener von Van Helsing, der so schon direkt am Schauplatz vorhanden ist. Das spart Zeit, und ist deswegen auch nicht die schlechteste Entscheidung.
Ansonsten geht es wie gewohnt weiter: Lucy wird zum Vampir, entführt Kinder, Van Helsing tötet sie und beweist den anderen, dass Vampire existieren. Dann beginnt die Jagd auf Dracula und schließlich stellen sich Quincy und Harker (im Buch sind eigentlich alle Protagonisten dabei) Dracula wieder in Transsylvanien. An sich ist das alles auf fast 100 Minuten durchaus annehmbar zusammengefasst, auch wenn ein paar Sachen zu kurz kommen. Gerne hätte die Anfangssequenz auf Draculas Burg länger gehen können – diesen Part finde ich in allen Versionen, wie auch im Buch, am unterhaltsamsten. Dr. Seward spielt nun leider allerdings eine sehr untergeordnete Rolle, Quincey wird so gut wie gar nicht Charakterisiert und unser aller Liebling Renfield fällt auch so ziemlich in die Bedeutungslosigkeit. Dass Franco das Ausmaß des Romanes gar nicht umsetzen konnte, ist klar: Dort nimmt die Jagd nach Dracula Wochen und Monate ein, filmisch ist dies nur schwer, zumindest für einen limitiert arbeitenden Franco, zu bewerkstelligen. Das erklärt allerdings nicht, wieso Quincy und Harker innerhalb von einem Tag mal eben nach Transsylvanien reisen können... sowieso wirkt das Ende etwas gehetzt und alles andere als sorgsam inszeniert und die Dimension „Zeit“... naja, davon will ich da erst gar nicht anfangen.
Und Apropos Zeit: Ich empfand Nachts, wenn Dracula erwacht auch nicht als Langweilig, aber es gibt sicherlich viele, die den Streifen für viel zu langsam halten werden. Im Grunde ist er das auch. Jedoch gibt es (für mich) ein paar entscheidende Punkte, wieso Nachts, wenn Dracula erwacht nun doch funktioniert.
1: Christopher Lee. Das ist völlig klar. Wenn Dracula hier von irgendeinem Schauspieler ohne Lees Gravitas gemimt worden wäre, würde das fragile Kartenhaus des Films schon zusammenbrechen. Lee nahm die Rolle ohnehin nur an, weil es diesmal eine originalgetreue Version werden sollte (1970 stülpte er gleich drei Mal die Vampirzähne über), und egal, ob man den Film nun gut findet ohne nicht: Für Lee- und Dracula-Fans ist der Film alleine deswegen ein absolutes Muss. Denn so darf Lee wahrhaftig in Lugosis Fußstapfen treten und endlich die legendäre Zeile „Children of the night. What music they make!“ zitieren, wenngleich dieser hier schon fast nebenbei abgehandelt wird. Und am Ende darf er, wie Lugosi, ebenfalls mit Zylinder in der Oper erscheinen. Ich glaube tatsächlich, dass Franco hier mit Absicht den altwürdigen Universal-Klassiker einfach mit Lee umsetzen wollte, obwohl die Szene mit der Oper im Finale nicht mal wirklich viel Sinn ergibt. Ansonsten: Lee als Stoker-Dracula, nämlich als alter Mann mit Schnurrbart, ist sehr schön: Seine Stimme wirkt, ebenso seine Augen und seine Gestik und Mimik. Ich finde allerdings, dass sich die Maske da mehr Mühe mit ihm hätte geben können.
2: Ich finde es einfach spannend, Literaturverfilmungen zu betrachten. Zu sehen, wie jemand anderes ein Werk umsetzt. Beim Lesen hat man seinen inneren Film und es macht Spaß, diesen mit anderen zu vergleichen.
Das sind so ziemlich die beiden Hauptpunkte. Aber es ist nun mal auch ein Jess Franco Film und des Jesús Rolle in all dem ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der anderen Seite kreiert Franco mit seiner etwas hölzernen, ungelenken Art durchaus sehr atmosphärische Bilder, z.B am Anfang im Wald oder auf der Burg. Auf der anderen Seite: Dynamisch sieht anders aus. Im Grunde zoomt er in jeder Einstellung nur auf die Gesichter der Protagonisten, mehr Nuancen seines Könnens (falls vorhanden) zeigt er nicht. Und dass Produzent Harry Alan Towers (finanzierte dem Jesús auch noch zwei Fu Manchu-Teile) kein Vermögen für den Film springen ließ, ist klar. Man merkt, dass nicht genügend Peseten da waren, um „Dracula“ so darzustellen, wie es nötig gewesen wäre. Die Burg in Transsylvanien ist eher karg eingerichtet, ebenso das Sanatorium, und die Zeit um 1900 kommt zwar herüber, aber in keinem großen Umfang. Die Protagonisten reisen aus finanziellen Gründen schon mal nicht (deswegen teleportieren sich Quincy und Harker am Ende auch einfach zur Burg) und alles wirkt arg „eingeschränkt“. Das wiederum lässt aber eben auch die wohlige Atmosphäre eines kleinen B-Horrorfilms von Anno dazumal entstehen.
Und überhaupt wundert mich, wie handzahm der Film ist. Da wagte selbst Hammer im selben Jahr mit Dracula – Nächte des Entsetzens mehr. Gerade bei Franco hätte ich erwartet, dass die Nummer viel sleaziger würde, zumal die Vorlage das ja durchaus hergibt: Ich denke nur an die Szene mit den Vampir-Damen und Harker. Doch bis auf etwas Kunstblut bei den Pflock-Szenen bleibt Nachts, wenn Dracula erwacht überraschend brav. Was die Spezialeffekte nun angeht... naja, da schmunzelt höchstens das Trash-Herz. Vampir-Filme sind ja nun nie wirklich von Spezialeffekten abhängig, sondern mehr von der Umgebung, und wie diese eingefangen wird. Die klassische Vampirfledermaus am Faden sieht man glücklicherweise nur als Schatten, der rückgängige Alterungsprozess des Herrn Dracula zum Schluss, als sein Sarg in Flammen aufgeht (nicht gerade eine gute Methode, um Dracula zu vernichten, möchte man meinen), war aufgrund der offensichtlichen Puppen eher amüsant, denn horribel. Und dass die „Wölfe“, die Dracula am Anfang verscheucht, nur harmlose Hunde sind, naja, geschenkt. Absolut lächerlich ist allerdings die Szene, in der Harker, Van Helsing und Quincey die Gruft von Draculas Haus betreten und sie dort von sich bewegenden ausgestopften Tieren „angegriffen“ werden, bzw. wackeln diese ein bisschen hin- und her und das Trio scheint davon schon verängstigt zu sein. Jesús, was hast du dir dabei gedacht?
Dass Christopher Lees Performance dann so wichtig ist liegt auch daran, dass der restliche Cast kaum etwas zu bieten hat. Der schauspielerisch wunderbare Klaus Kinski (menschlich allerdings nicht nur fragwürdig, sondern Abfall) tut als Renfield nicht mehr, als ein bisschen in der Zelle zu hocken. Von den herrlichen Monologen, die seinerzeit Dwight Frye so zauberhaft vortrug, fehlt jede Spur. Im Grunde hätte man ihn in dieser Version gleich rausschneiden können. Ich hatte erwartet, dass Kinski in der Rolle richtig freidreht, aber: Fehlanzeige.
Die anderen wichtigen Figuren werden dann leider ziemlich leblos dargestellt. Franco hatte als Van Helsing ursprünglich Vincent Price engagieren wollen, und: Meine Güte, das wäre was gewesen! So aber muss man sich mit Herbert Lom (Asylum, Embryo des Bösen u.a) zufriedengeben, der zwar immerhin ein bisschen Elan hat, aber Meilen von einem Price und einem Cushing entfernt ist, und auch Edward van Sloan ist in der Rolle deutlich besser.
Bei dem Trio Harker, Quincy, Seward sieht’s dann aber echt arm aus. Keiner ihnen bekommt hier irgendwelche Nuancen oder irgendwas an Tiefe spendiert, es sind wirklich völlig blasse Schablonen. Fred Williams als Harker fällt kaum auf und kann Harkers Angst am Anfang kaum rüberbringen. Paul Müller (von Franco bei diversen seiner Erotikhorrorfilmen verwendet) als Dr. Seward hat keinerlei Bedeutung mehr und Jack Taylor (war in diversen Horrorfilmen der 70er Jahren zu Gast, u.a in Das Geisterschiff der schwimmenden Leichen) hat als Quincey nichts mehr von dem Schneid und dem Charisma, die die Figur im Buch hatte. Und Lucy und Mina sind halt irgendwie da und werden von Lee gebissen. Aber es ist ja immer schon so gewesen bei den Dracula-Filmen: Der Namensgeber war der mit Abstand Beste auf der Bildfläche.
Gesichtet wurde der Streifen auf der Blu-Ray von den Freunden von Wicked-Vision, die mal wieder ein hübsches Paket geschnürt haben. Vollgepackt mit Extras bietet die Edition eine tolle Bildqualität.
Fazit:
Nachts, wenn Dracula erwacht ist ein seltsamer Film, der unterhaltsamer war, als ich letztendlich gedacht hätte. Im Grunde ist es nur ein B-Vampirfilm á la Jess Franco im kleinen Rahmen, aber als Dracula-Fan und Dank Christopher Lee, sowie einiger atmosphärischer Aufnahmen war es doch keineswegs eine Sichtung, die ich bereuen würde.
6,5/10 Punkten.