Original-/Alternativtitel: Il pasese del sesso selvaggio / Man from Deep River / Deep River Savages / Sacrifice!

Jahr: 1972

Regisseur: Umberto Lenzi

Schauspieler: Ivan Rassimov (John Bradley), Me Me Lay (Maraya)

Vorwort:

Wie bereits angekündigt, geht es nach Mondo Cane munter weiter mit den Untiefen des italienischen Schmuddel- und Exploitationkinos (böse Zungen sagen, dass das italienische Genrekino der 70er und 80er Jahre ausschließlich aus Schmuddel und Exploitation bestand). Nach der Hundewelt haben wir nun also die Kannibalenwelt, bzw. Mondo Cannibale, in den USA auch bekannt als Man from the Deep River. Und damit beginnen wir auch „endlich“ mit dem wohl berüchtigtsten, fragwürdigsten und schmuddeligsten Genre, das Italien in seiner langen schmuddeligen Kinogeschichte hervorgebracht hat: Dem Kannibalenfilms. Zugegeben: Ich habe bereits die „Klassiker“ gesehen, sprich Ruggero Deodatos „Meisterwerk“ (zu dem werde ich später noch umfangreich kommen) Cannibal Holocaust sowie der fast noch brutalere Cannibal Ferox (ebenfalls von Umberto Lenzi). Auch Die weiße Göttin der Kannibalen habe ich mir bereits angeschaut, und ebenso Zombies unter Kannibalen, wenngleich dieser technisch gesehen nicht zum Genre zählt.

Reviewt habe ich all diese Genrebeiträge allerdings noch nicht. Wieso, weiß ich eigentlich gar nicht so recht. Vielleicht will ich mich nicht mehr mit diesen Splatter-Orgien befassen und mich nur auf die Sichtung beschränken. Aber damit ist nun Schluss, denn da ich eine Hausarbeit zu dem ganzen Thema schreibe, komme ich um langwierige schriftliche Besprechungen der Filme nicht mehr herum. Ohnehin möchte ich erwähnten, dass ich in dem spezifischen Seminar, für das ich die Hausarbeit verfasse, auch eine kurze Einleitung zum italienischen Exploitation-Film geben durfte. Ich nehme meinen Bildungsauftrag also ernst, wie man sieht, und verbreite das Italo-Kino, wo ich nur kann. Aber ich schweife ab… wie beim Mondo-Genre fangen wir nun also auch beim Kannibalengenre mit dem Ursprung an: Mondo Cannibale.

Inhalt:

Der Fotograf John Bradley befindet sich an der Grenze von Thailands zu Burma. Mit einem Gehilfen und einem kleinen Boot fährt er tiefer in den Dschungel hinein, wo er schließlich von einem isolierten Stamm gefangen genommen wird. Zuerst bleibt er ein Gefangener und Arbeitssklave, doch schließlich wird er Teil des Dorfes und findet in Maraya auch eine große Liebe. Zwischen Fluchtversuchen, dem täglichen Leben und Kannibalenangriffen muss sich Bradley zu Recht finden.

Besprechung:

Dass Mondo Cannibale ein etwas „ungewöhnlicher“ Kannibalen-Film ist („ungewöhnlich“ auf dieses Genre zu beziehen ist an sich ja schon, äh, fragwürdig). Jedenfalls verhält es sich genauso wie bei Mondo Cane: Vom „Urvater“ des Subgenres habe ich mir mehr versprochen. Nicht zwar in Sachen Gewaltgrad, da hat mich Mondo Cannibale sogar überrascht, aber in der Story und der Herangehensweise. Überraschung, Überraschung: Im Grunde ist Mondo Cannibale nämlich gar kein Kannibalenfilms, zumindest nicht primär. Im Grunde handelt es sich um ein romantisch angehauchtes Dschungelabenteuer, in dem die Kannibalen lediglich eine Randnotiz sind, die nur sehr wenig Raum und Screentime einnehmen. Es würde mich tatsächlich nicht wundern, wenn es irgendwelche Verbindungen zum brasilianischen How Tasty Was My Little Frenchman (ein glorreicher Titel, fürwahr) gibt, der im Vorjahr, also 1971 erschien. Dieser an den realen Abenteuern des deutschen Landsknechts Hans Staden, der im 16. Jahrhundert in Brasilien von Indigenen gefangen genommen wurde, angelente Streifen behandelt nämlich eine ähnliche Story. Ein „Weißer“ wird von einem indigenen Stamm gefangen genommen, nimmt an ihrem Leben Teil und wird so auch Teil ihres Stammes. Gut, in How Tasty Was My Little Frenchman wird der titelgebende Franzosen (ja, die Nationalität wurde für die „Verfilmung“ geändert) am Ende verspeist, aber zum großen Teil spielen sich die beiden Filme ähnlich.

Dass Mondo Cannibale auch vielmehr dem Mondo Film nahesteht, als die nach ihm kommenden Kannibalenfilmen, sieht man nicht nur am Verleihtitel, sondern auch eben an dem vorher beschriebenen Faktum, dass Bradley am Leben des Stammes teilnimmt. Der italienische Originaltitel, der übersetzt „Das Land des wilden Sex“ heißt, könnte ja genau so auch von irgendeinem fragwürdigen Mondo-Film stammen. Dementsprechend zeigt Mondo Cannibale zahlreiche vermeintliche Riten des Stammes, etwa Fruchtbarkeitsrituale, Arbeiten des Medizinmanns und so weiter. Wie schon bei Mondo Cane macht Mondo Cannibale aber auch nicht mehr, als diese abzufilmen, irgendetwas „lernen“ tut man hier logischerweise gar nicht. Der unterschied zu Mondo Cane besteht lediglich darin, dass die Ritual-Szenen in Mondo Cannibale zu 100% inszeniert sind, also rein gar nichts dokumentarisches mehr an sich haben. Ob sich Lenzi an irgendwelchen realen Bräuchen der Indigenen orientiert hat, wage ich sehr zu bezweifeln, denn von einem Lenzi erwarte ich, richtig, nur eines: Das kräftig auf die Exploitation-Pauke gehauen wird.

Und das tut der gute alte Lenzi auch! Der Film ist deswegen auch so seltsam ambivalent, weil er völlig unnötigerweise (wie eigentlich alle Kannibalenfilmen) immer wieder Tiersnuff-Szenen einbaut, wo diese keineswegs dramaturgisch nötig gewesen wären. Gut, in Filmen wie Cannibal Holocaust oder Cannibal Ferox passen diese „besser“ hinein, schließlich haben sich diese Streifen ohnehin völlig der Exploitation verschrieben. Aber Mondo Cannibale wirkt abseits dieser ganzen pseudodokumentarischen Rituale, dem unnötigen Tiersnuff, und der kurzen Kannibalismus-Szene fast wie eine familientaugliche Abenteuergeschichte: Weißer Mann wird von Stamm gefangen genommen, er arrangiert sich mit ihnen, verliebt sich, bekommt eine Frau und ein Kind, Frau stirbt (wieso jetzt genau ist ja auch wurscht). Wenn man die ganzen brutalen Szenen herausgeschnitten hätten, die, wie gesagt, dramaturgisch nichts zur Story hinzufügen, wäre der Film schon gar kein Exploitationfilme mehr.

Was nun aber den Tier-Snuff angeht, so ist dieser zwar zahlreicher (nach meiner wagen Erinnerung) als in Cannibal Holocaust, dafür aber weniger brutaler. Was fährt Lenzi auf? Einen Hahnenkampf, einen Kampf zwischen irgendeinem Nager und einer Schlange, die Schlachtung einer Ziege (genau nachdem Maraya stirbt, logisch), die Schlachtung eines Alligators sowie die Köpfung eines Affen im Stile von Cannibal Ferox (nur dass dort einem Menschen der Kopf abgehackt wird). Sowas könnte man bei Mondo-Filmen ja noch in dem Sinne verteidigen, dass sie derartige Rituale nur abfilmen, aber nicht selber inszenieren. Doch genau das tut Lenzi hier, und zwar ausschließlich für die Unterhaltung. Ach ja, das leidliche Thema Tier-Snuff in italienischen Kannibalenfilmen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich mich in dieser Debatte positionieren soll. Unnötig? Hier sicherlich. Dementsprechend nur für selbstzweckhafte Schocks verwendet? Aber sowas von. Sollte man den Film deswegen abstrafen? Eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss. Da Lenzi aber bereits seit 2017 nicht mehr unter den Lebenden weilt, kann man sich bei ihm freilich nicht mehr im Namen der Tierwelt beschweren…

Und apropos Lenzi. Den hatten wir vor kurzem ja erst in Zuge der Besprechung zu The Hells Gate. Dass Lenzi kein großer Regisseur war, ist klar. Nach dem, was ich bisher von ihm gesehen habe (Cannibal Ferox, Großangriff der Zombies, Labyrinth des Schreckens, Black Demons und eben Hells Gate (Nightmare Beach zählt ja nicht, da tauchte er lediglich in den Credits auf)), muss ich sagen, dass sein filmisches schaffen wohl eher aufgrund ihrer blutigen bzw. mitunter auch trashigen Kriterien Unterhaltung bieten, denn aufgrund ihrer filmischen Qualitäten (allerdings muss ich natürlich noch viele seiner Werke nachholen, zu Eaten Alive werde ich sogar alsbald noch kommen (müssen)). Hier tut er das, was Italiener eben gerne tun: Oft und lang auf diverse Körperteile zoomen (Augen, Münder), oder auch auf unnötige Dinge (wie die Wolken oder einen Elefanten am Flussufer). Ansonsten filmt er das Alles relativ unaufgeregt ab, beglückt uns aber noch mit einer seltsamen, wie soll man es nennen, „Traumsequenz“ von Bradley. Alles in allem das, was man von so einem Film erwarten würde.

Geschrieben wurde die Plotte vom Duo Francesco Barilli (Das Parfüm der Dame in Schwarz) und Massimo D’Avak (So Sweet so Perverse u.a, ebenfalls von Lenzi. Wie gesagt bauen sie hier eine potenziell interessante Geschichte auf, die aber zum einen underdeveloped ist und viel, äh, Potenzial wegwirft. Hier hätte man ja, für Kannibalenfilmen etwas völlig Ungewohntes (außer höchstens für Cannibal Holocaust), wirklich Sozialkritisches einbauen können. Weiß nicht, die Ambivalenz zwischen Natur- und Großstadtleben, in der sich Bradley wiederfindet. Ohnehin wäre er ein sehr interessanter Protagonist, aber man erfährt zu wenig über seinen Charakter und seine Motivation. Letztendlich bleibt es bei Abziehbildern ohne große Tiefe. Ach ja, und ich frage mich, wer die Frau am Anfang war und was mit ihr passiert ist, denn diese Antwort bleibt und das Skript, so wie ich es jetzt verstanden habe, alle Antworten schuldig. Ob nun Barilli und D’Avak selber die Tier-Snuff Szenen eingebaut haben, wage ich mal zu bezweifeln. Wohlmöglich war es das Studio, oder gar Lenzi selber, die gesagt haben: „So, wir müssen jetzt noch ein paar Tiere töten, sonst will den Film doch keiner sehen!“

Nun aber zum Kern der Sache, den Menschenfleischverköstigern. Eine bemerkenswerte Beobachtung ist, dass auch hier wieder unterschieden wird in potenziell „nette Ureinwohner“ und wirklich „wilde Ureinwohner“. Schließlich gab’s auch in Die weiße Göttin der Kannibalen und Cannibal Holocaust jeweils einen „normalen“ Stamm und einen solchen, der Kannibalismus betrieb. Den einen kann sich der Protagonist, und somit auch der Zuschauer, annähern, die anderen werden völlig ins Land der Wilden abgeschoben: Sie leben jenseits der Zivilisation noch tiefer im Dschungel und zeigen kaum noch Anzeichen von menschlichen Verhalten. So auch hier: Die Kannibalen vergewaltigen, brandschatzen und laben sich am Menschenfleisch und einer lacht auch noch debil mit seiner Zahnlücke in die Kamera. Außerdem sehen sie dreckig aus. Dass den Kannibalenfilmen gerne Rassismus unterstellt wird, es ist nun mal auch nicht von der Hand zu weisen, ist bekannt, aber dass sie mitunter doch zumindest differenzieren, ist schon interessant.

Im ganzen Streifen gibt es letztlich eh nur eine einzige Kannibalismus-Szene, die für das Jahr 1972 aber überraschend explizit und brutal geraten ist. Der eine Kannibale nagt an einem Arm und die Wunden des bedauernswerten Opfers werden klar gezeigt. Ansonsten passiert nicht viel Brutales, zumindest für Italo-Verhältnisse. Die Foltereien von Bradley halten sich in Grenzen, zumindest suggeriert das US-Plakat, dass da mehr geschieht. Die Szene, in denen er in dieser seltsamen Apparatur hängt und sich um die eigene Achse dreht, habe ich a) nicht verstanden und b) ist sie etwas unfreiwillig komisch. Hinzu kommt das Abschlagen einer Hand und ein paar weniger spektakuläre Tötungsszenen.

Nun noch zu den Schauspielern. Ivan Rassimov, ein alter Italo-Veteran, hat mit Bradley sicherlich eine dankbarere Rolle zu Spielen als viele andere seiner Genre-Kollegen. Sein Bradley ist potenzial wie erwähnt eine interessante Figur, mit der der Zuschauer auch mitfiebern kann (was man von den anderen Kannibalenfilmen definitiv nicht sagen kann!): Er wird ins kalte Wasser geworfen und bewegt sich mit uns durch die ihm fremde Welt des Dschungels, da er so wenig wie wir verstehen, was der Stamm da mit ihm vorhat. Rassimov sollte später auch noch in Lenzis Eaten Alive vorbeischauen, und hatte auch Auftritte in anderen bekannten Italo-Filmchen (z.B im Giallo oder im Sexfilm bei Gemser). Ein bisschen mehr Emotionen könnte er schon zeigen, gerade wenn seine Angetraute stirbt, aber gut, wir erwarten nicht zu viel. Seine Liebe Me Me Lai gab sich später ebenfalls noch bei Lenzi in Eaten Alive die Ehre und passt immerhin vom Aussehen in die Kulisse, die überdies auch recht schön aussieht, muss ich noch erwähnen. Das ist wenigstens noch ein Dschungel, der teilweise idyllisch wirkt, nicht wie der dreckige Moloch, den man später in Cannibal Holocaust oder eben Cannibal Ferox zu sehen bekam.

Fazit:

Mondo Cannibale ist ein zumindest interessanter Streifen, auch filmhistorisch, und markiert sicherlich nach Mondo Cane den nächsten Schritt hin zur Marke Italo-Horrorfilm, wie heute bekannt (und beliebt ist). Brutal, selbstzweckhaft, blutig, schmuddelig. Eben Exploitation. Das ist Mondo Cannibale auch, aber ansonsten bekommt man auch ein annehmbares Dschungel-Abenteuer, das über 90 Minuten durchaus zu unterhalten weiß.

6,5/10 Punkten.