Original-/Alternativtitel: /

Jahr: 1919

Regisseur: Fritz Lang

Schauspieler: Kay de Hoog (Carl de Vogt), Ressel Orla (Lio Sha), Lil Dagover (Naela), George John (Dr. Telphas)

Vorwort:

Heute gehen wir mal gaaaaanz weit zurück. Ok, nicht komplett zu den Anfängen des Films bei Méliès oder den Gebrüdern Lumière, aber immerhin über 100 Jahre zurück. Dem Stummfilm habe ich mich hier bisher bei weitem nicht genug gewidmet. Lediglich den Stummhorrorfilm Häxan war hier vor einer Weile zu Gast – und kassierte immerhin wunderbare 8 von 10 Punkten. Zwar kann es, das sage ich schonmal im Voraus sagen, der heutige Kandidat nicht so eine hohe Gunst erreichen, aber dennoch. Schließlich bietet der Stummfilm neben den anerkannten Größen sehr viele versteckte Perlen. Immer, wenn ich daran denke, dass, nach einigen Schätzen, mindestens 80% der Stummfilme auf immer verloren sind (das Thema Lost-Film wäre nochmal was für eine ganz eigene Liste), kann man nur etwas wehmütig werden.

Aber der heutige Film entging glücklicherweise dem ewigen Nichts und ist so, wie alle Stummfilme eigentlich, leicht auf YouTube zu finden. Die Public-Domain sei dank. Und es handelt sich auch noch um einen Streifen des Altmeisters Fritz Lang. Und nein, ich meine weder Metropolis, noch Die Frau im Mond, sondern… Die Spinnen, 1. Teil – Die Goldene See! Was für ein Titel…

Inhalt:

Mitte der 1910er Jahre. Ein alter Mann flieht durch ein Höhlensystem, steckt ein Papier in eine Flasche und wirft es ins Meer. Kurz darauf wird er von einem Inka in den Rücken geschossen. Die Flaschenpost findet aber dennoch ihr Ziel, nämlich den bekannten Seesportler und Abenteurer Kay de Hoog (Carl de Vogt), der sie aus dem Wasser fischt. Eigentlich bereitete er sich gerade auf ein Yachtrennen mit seinem Club vor, aber als er von goldenen Schätzen einer geheimen Inka-Zivilisation in Südamerika liest, zögert er keine Sekunde. Stolz kündigt er gegenüber seinen Clubmitgliedern das Abenteuer an – und ruft damit den Geheimbund der „Spinnen“ auf den Plan. Hohes Mitglied ist dort Lio Sha (Ressel Orla), die ebenfalls Mitglied im Yachtclub ist. Sie versucht Hoog das Schriftstück aus der Flaschenpost zu stibitzen, doch als ihr dies misslingt, konsultiert sie die Mitglieder ihres Bundes. Diese sind sich einig: Der Goldschatz muss ihnen gehören!

Mit einer kleinen Entourage macht sich Lio Sha also nach Südamerika auf und ist Kay Hoog auf den Fersen… und bald finden sie tatsächlich die geheime Inka-Tempelanlage und Kay Hoog macht mit der Inka-Frau Naela (Lil Dagover) Bekanntschaft.

Besprechung:

Ja, es ist immer wieder faszinierend, wie weit zurück die Genrekonventionen gehen. Bereits 1919 kristallisierten sich, wie hier sehr gut zu erkennen ist, die Genrekonventionen heraus. Und manche haben eben bis heute bestand. Ich will es Die Spinnen, 1. Teil – Die Goldene See jetzt auch nicht unbedingt anrechnen, das Genre „erfunden“ zu haben, keineswegs. Die Urbasis geht wahrscheinlich wieder auf den alten guten Franzmann Jules Verne zurück, der genau eine solche Story hier hätte auch verfassen können. Aber der Reihe nach.

Tja, und immer, wenn ich an das Kino der Weimarer Republik denke, die wohl größte Blütephase des deutschen Kinos (oder zumindest die international Einflussreichste), so kann man nur etwas wehmütig werden. Tja, damals war Deutschland wegweisend und eine Größe im Kinogeschäft, ja lief teilweise Hollywood den Rang ab! Davon kann man heute natürlich nur träumen, denn statt Meisterwerke (oder immerhin irgendwas Brauchbares) kommt aus Deutschen Landen fast nur noch Murks und die Bedeutung für den internationalen Filmmarkt ist längst, im wahrsten Sinne des Wortes, Geschichte. Man denke nur daran, dass in den USA einst deutsche Importe wie Der Golem, wie er in die Welt kam die größten Kinohighlights der Saison waren und die Massen in die Lichtspielhäuser zogen. Gut, Hollywood überholte Deutschland langsam aber sicher schon Ende der 20er Jahre, endgültig Schluss war dann, als die Nazis an die Macht kamen und zahlreiche Vordenker nach Hollywood emigrierten (die Namen kennen wir ja; Lubitsch, Lang, Ulmer und so weiter).

Aber dafür haben wir das Erbe der Weimarer Republik, und das bietet freilich einen, trotz aller nitrat- und zeitbedingten Verluste, einen reichhaltigen Fundus, aus dem der Filmfreund schöpfen kann. Neben dem typischen Horror (Nosferatu, Der Golem, Schloss Vogelöd u.a), Science Fiction (Metropolis, Die Frau im Mond, Algol) und zahlreichen intelligenten Dramen gab’s auch eine Menge „Triviales“, wenn man es so ausdrücken will. Nach dem ersten Weltkrieg dürstete das Publikum nach Ablenkung und es boomten Abenteuerfilme á la Karl May an exotischen Schauplätzen. Die meisten davon sind heute verschollen, aber Fritz Langs dritte Regiearbeit (und auch seine erste erhalten gebliebene Arbeit) steht uns heute noch zur Verfügung: Die Spinnen, 1. Teil – Die Goldene See.

Und damit knüpfe ich an den ersten Satz an. Es ist schon lustig zu sehen, wie dieselbe Chose schon vor einhundert Jahren im Kino lief. Selbiges könnte man heute wohl auch ins Kino bringen (wenn man von etwaigen „rassistischen Bedenken“ mal absieht). Mitunter fühlt es sich glatt so an, als hätte man Indiana Jones in die 20er Jahre verfrachtet. Alles ist ja dabei: Ein Held mit Hut und Lederjacke, ein böser Geheimkult, untergegangene Zivilisationen, eine Reise zu exotischen Schauplätzen, Schießereien und dann sogar noch Cowboys, die, ebenfalls Karl May sei Dank, damals in Deutschland recht beliebt waren. Fritz Lang war hier auch fürs Skript verantwortlich, und wie bereits erwähnt, erinnert es stark an die Stories von Jules Verne. Vielleicht liegts nur daran, dass ich gerade In 80 Tagen um die Welt gelesen habe, aber die Grundgeschichte fühlt sich schon sehr nach Verne an, und das ist absolut positiv gemeint, denn der Streifen bringt eben auch noch das Feeling von Verne mit – was man von modernen Verfilmungen seiner Stoffe nicht gerade behaupten kann (obwohl sie nicht unbedingt schlecht sein müssen, ich mag z.B Reise zum Mittelpunkt der Erde mit Fraser). Will sagen: Es ist eine absolut triviale Pulp-Abenteuergeschichten, die aus allerlei Versatzstücken des Genres, die Verne mitunter damals schon etabliert hatte (der reiselustige Geschäftsmann, der sich auf ein Abenteuer begibt und ein tiefes Geheimnis lüftet, und die klassische Ballonfahrt). Das ist freilich keine große Kunst, und schon damals wurde dies wohl schon als simples Unterhaltungskino produziert und konzipiert.

Und kann sowas heute noch unterhalten? Insofern man ein Faible für Stummfilmästhetik (oder allgemein für Pulp, alte Abenteuerstories oder Filmgeschichte) hat, dann sicherlich. Es wird einen nicht vom Hocker hauen, aber der Film geht auch nur 69 Minuten und weist ein wirklich sehr hohes Pacing auf. Die Figuren sind Abziehbilder, man eilt von Plotpoint zu Plotpoint und konzentriert sich auf das wesentliche. Klar, die Dialogszenen zu Anfang mögen kein Feuerwerk der Spannung sein, aber aufgrund der Stummfilmästhetik bieten sie dennoch ihre Faszination. Manchmal fühlt es sich gar wie ein typisches US-Serial an. „Spannend“ in dem Sinne, dass man großartig darüber nachdenkt, wie der Streifen nun enden könnte, ist er dementsprechend nicht, aber man ist schon erwartungsvoll, was der Film noch alles zu zeigen, was für Schauwerte er noch im Köcher hat. Das hilft dann auch über die ein oder andere Expositionsszene zu Beginn hinweg.

Und ohnehin sieht der Film wirklich hübsch aus. Da hat man nicht gespart an Ausstattung und sogar das exotische Setting von Südamerika und der Inkatempel wirkt ausreichend authentisch, denn man drehte u.a im zoologischen Garten in Hamburg. Dementsprechend haben die kleinen Dschungelumgebungen, der Wasserfall, die Höhle und die steinigen Täler schon ihren Charme. Und auch die Inkatempel sehen richtig gut aus, wenn auch nicht besonders imposant. Ob solche auch im zoologischen Garten stehen, oder ob man dafür woanders drehte, vermag ich nicht zu sagen. Dass man sie aber extra für den Film selber angefertigt hat, glaube ich eher nicht. Und hinzu kommt wie erwähnt noch etwas Western-Feeling mit einer Kneipe und einer zünftigen Schießerei in ebenjener. Lediglich an exotischen Tieren hat man gespart, da gibt’s nur ne Schlange zu sehen, mehr nicht. Für einen Abenteuerfilm des Baujahrs 1919 kann man sich aber wirklich nicht beschweren.

Klar, bei der Inszenierung fällt es sehr schwer, das aus der Gegenwart zu bewerten. Fritz Lang stand noch am Anfang seiner Karriere und konnte zu diesem Zeitpunkt wohl kaum unabhängig vom Studio arbeiten (wie später etwa bei Metropolis – und wohin das für die UFA führte, ist allgemein bekannt). Mit an Bord ist übrigens noch Karl Freund, der später auch Metropolis fotografierte und später in den USA bekanntlicherweise bei Universal unterkam und dort Die Mumie drehte. Insgesamt wirkt der Film aber natürlich etwas ungelenk und holprig, sowohl im Schnitt als auch in der Kameraarbeit, aber darüber sollte man sich nun wirklich nicht beschweren. Insgesamt fehlt es zwar an wirklich imposanten, epischen Bildern, aber dafür waren die Sets wahrscheinlich auch einfach zu klein und beengt. Die Flucht von Kay Hoog und Naela wird übersprungen und zu Anfang ist der Streifen auch etwas sprunghaft, wenn wild zwischen Kay Hoog und dem Geheimbund der Spinnen hin- und hergeschnitten wird (und was genau es mit diesem Geheimbund auf sich hat, wird auch nicht klar. Der besteht wohl aus verschiedenen Gentlemen und einem Chinesen, die irgendwo in einem dunklen Keller hocken – aber sonst wäre es ja auch kein Geheimbund, ne?). Ein bisschen wird man aus der Immersion gezogen, wenn es um die Fahrt im Ballon geht, denn es ist nun mal arg erkennbar, dass dieser am Boden festgebunden ist und sich keinen Millimeter bewegt. Außerdem sieht man auch die die Sicht vom Ballon aus. Dafür hat man ulkige Miniaturtempelanlagen gebaut, die man „von oben“ zeigen kann, was aber auch für damalige Verhältnisse kaum als Glanztat betrachtet worden sein dürfte. Wirkliche „Spezialeffekte“ in dem Sinne gibt es auch nicht, bis auf eine Überblendung, die genutzt wird, um einen Spiegel in eine Art Fernsehgerät zu verwandeln. Dafür sind die Szenen zu hoher See durchaus gelungen.

Auch das Schauspiel ist aus heutiger Sicht schwer fair zu beurteilen. Ich tu’s trotzdem mal. Als Protagonist Kay Hoog mach Carl de Vogt eine gute Figur, er ist charismatisch genug und entspricht dem, was ich mir unter einem typischen Jules-Verne-Abenteurer so vorstelle. Da der gute Vogt 1933 gleich meinte, in die NSDAP eintreten zu müssen, flaute seine Karriere nach dem zweiten Weltkrieg dementsprechend vorerst ab und seine letzte Rolle hatte er lediglich als Arzt in Der Würger von Schloss Blackmoor. Der restliche Cast ist da schon deutlich weniger populärer. Gut gefallen hat mir auch Ressel Orla als Anführerin der Spinnenbande, Lio Sha. Sie ist darüber hinaus auch eine überraschend starke Frauenfigur. Sie hat auf der Expedition die Zügel in die Hand und behauptet sich in einer Männerwelt (z.B in der Kneipe), obwohl sie am Ende von Hoog gerettet wird, da sie dem Sonnengott geopfert werden soll. Orla, die schon 1931 an einer Krankheit starb, hat für die Rolle auch die richtige Mischung aus hinterhältiger und autoritärer Ausstrahlung und ist damit ein passender Gegenpart zu Hoog. Weniger auffällig ist dann Lil Dagover, die u.a auch in Das Kabinett des Dr. Caligari oder in Herr Tartüff von Murnau mitspielte. Als Inka-Frau mag sie vom Aussehen ok sein, aber ansonsten sticht sie weniger heraus. Interessant ist dabei auch, dass man sie mit Hoog verkuppelt. Die beiden, aus zwei verschiedenen Ethnien stammend, wohlgemerkt (obwohl Dagover Weiß war, aber trotzdem) werden ein Liebespaar. Zuerst dachte ich, dass der Film für 1919 schon fortschrittlicher war, als The Mole People von 1956, denn dort hat man den Film ja extra so ungeschnitten, dass es nicht zu einer Beziehung zwischen zwei Ethnien kam. Ich will nicht sagen, dass man Naela extra aus diesem Grund am Ende tötete (es könnte aber durchaus sein), aber trotzdem passierts. Vielleicht aber auch einfach aus dem Grund, um den nächsten Teil anzuteasern. Da Die Spinnen, 1. Teil – Die Goldene See finanziell nämlich durchaus Kasse machte, „musste“ Lang im nächsten Jahr Die Spinnen, 2. Teil - Das Brillantenschiff machen. Und konnte so nicht mehr Das Kabinett des Dr. Caligari bearbeiten, wo er ursprünglich als Regisseur vorgesehen war. Tja, so ist das nun mal. Teil zwei allerdings war schon das Ende der Spinnenbande, denn der geplante dritte und vierte Teil gingen nicht mehr in Produktion.

Heute ist der Film, wie gesagt, frei verfügbar. Auf YouTube gibt es eine qualitativ-gute Fassung mit englischen Zwischentiteln zu sehen, ebenfalls mit Musikuntermalung.

Fazit:

Die Spinnen, 1. Teil – Die Goldene See war, da kann man sich einig sein, damals schon kein Meisterwerk, und ist es auch heute nicht. Als filmische Zeitkapsel ist es für Fans von Abenteuergeschichten und Pulp aber dennoch zu empfehlen, schließlich dauert er ja auch nur 69 Minuten.

6/10 Punkten.